Klenk und Pirker bei ihrer fernmündlichen Konversation Klenk und Pirker bei ihrer fernmündlichen Konversation Screenshot
24 Jun
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Eine Spielart der Orbanisierung

Wegen einer ÖVP-kritischen Geschichte im Magazin News stoppte das türkise Finanzministerium alle Inserate in sämtlichen Verlagstiteln. Zwei Podcasts des Falter widmen sich der medial nur mäßig beachteten Causa.

Eigentlich war´s ungeheuerlich, aber mehr als ein Lüfterl auf Twitter regte sich nicht darum: Das Finanzminsterium stoppte seine Inserate in SÄMTLICHEN Titeln der Verlagsgruppe News (VGN), die neben dem gleichnamigen Nachrichtenmagazin u.a. die Magazine TV-Media, AutoRevue, Trend, Woman und Gusto herausbringt. Anlass war die letztwöchige Coverstory des Verlags-Flaggschiffs News, die unter dem Titel „So mies geht´s Türkis“ einen kritischen Blick auf die ÖVP warf.
In einem Podcast des Falter nahm VGN-Verlagschef Horst Pirker kürzlich dazu Stellung.
Die 200.000 Euro Verlust träfen die Gruppe nicht wirklich, sagte Pirker im Gespräch mit Falter-Chefredakteur Florian Klenk, da es ihr wirtschaftlich gut gehe. Betroffenheit herrsche vielmehr, was das Prinzip angeht.
„Ich habe ja viel Erfahrung, weil ich schon lange im Geschäft bin“, sagt der langjährige Chef des Styria-Verlags, der seit sieben Jahren die Geschicke der VGN lenkt. „Und ich erlebe das schon als eine Spielart der Orbanisierung. Hier wird eine neue Variante, Medien unter Kontrolle zu bringen, ausprobiert, in einer Vehemenz, die neu ist - und zwar nicht um Nuancen anders als vorher, sondern sprunghaft anders.“
Einen Intelligenzüberschuss könne er darin nicht erkennen, sagt Pirker mit nonchalanter Ironie, wohl aber eine Systematik: Neben der Justiz würden (unbotmäßige oder als unbotmäßig eingestufte) Medien bewusst attackiert. „Meiner Meinung nach nicht zufälligerweise geht es nun um die zwei Gewalten, die die Türkisen unter den vier Gewalten im Staate noch nicht unter Kontrolle haben. Sie kontrollieren bereits die Legislative und Exekutive - nun geht es vehement gegen Justiz und Medien. Das geschieht auf variable Weise - teilweise auf freundlicher Basis, weil die, die mitspielen, ja mit Millionen und Abermillionen Inseratengeldern ,belohnt’ werden.“
Man solle diese Entwicklung nicht auf die leichte Schulter nehmen: „Wir erleben einen Machtexzess. Ich warne davor, das zu unterschätzen - das kann ein Systemwechsel sein, wie wir ihn aus Polen, Ungarn und vergleichbaren Nachbarstaaten kennen. Ich glaube auch, dass der Angriff auf die Justiz von der Öffentlichkeit schwer unterschätzt wird.“

Ist´s so schlimm geworden oder bröckelt die Macht der Türkisen?

Pirkers bemerkenswerte Aussagen sind, neben dem ORF, auch ein Thema im heutigen Falter-Podcast, für den sich Raimund Löw mit ORF-Anchor Armin Wolf, Falter-Redakteurin Barbara Toth und dem österreichischen Universitätsprofessor Leonhard Dobusch, der Mitglied des ZDF-Fernsehrats ist, unterhalten hat.
„Man muss schon dazusagen, dass es die Versuche von Regierungen, Einfluss auf die Berichterstattung zu nehmen, auch nicht ganz neu sind. So wenig umtriebig war das Werner Faymann als SPÖ-Bundeskanzler auch nicht“, relativiert Wolf, punkto Faymann übrigens unisono mit Pirker.
Toth indes findet Pirkers Alarmruf bemerkenswert: „Dass Besondere ist, DASS er es eben öffentlich gemacht hat. Wir haben im Falter ja schon öfter über dieses miese Wechselspiel von öffentlichen Inseraten und gefälliger Berichterstattung berichtet. Dass war allgemein bekannt - neu ist, dass ein Herr Pirker, der als Chef der VGN nicht irgendwer ist, das jetzt offen thematisiert. Die Frage wird sein, ob andere Verlagschefs jetzt ebenfalls offen über solche Praktiken sprechen werden und ob sich diese Inseratenkorruption aufhören wird.“
Dobusch stellt zur Disposition, ob Pirker diese Machenschaften auf Tablett gebracht hat, „weil sie so schlimm geworden sind oder weil die Macht der ÖVP so bröckelt, dass man sie ansprechen kann“.

Mit dem Themenbereich journalistische Unabhängigkeit und - Integrität war der Brückenschlag zum ORF als österreichisches Leitmedium, von dessen Funktionieren die Medienfreiheit dieses Landes nicht zum Allerletzten abhängt, getan. Zumal in Kürze der Generalintendant gewählt wird. Egal, ob der zum vierten Mal in Serie Alexander Wrabetz oder anders heißt - ihn erwartet eine Reihe von üppigen Herausforderungen. Zum einen politische Einflussnahmen. Des weiteren die medienpolitische Großwetterlage, die die Existenzberechtigung öffentlich-rechtlicher Anstalten in Europa - ob Osteuropa, Großbritannien oder auch Deutschland durch die AfD und auch FDP - massiv in Frage stellt. Da ist aber vor allem der Trendmotor Digitalisierung, den der ORF undank gesetzlicher Einschränkungen gewissermaßen mit gefesselten Händen bedienen muss. Das macht er übrigens - eben den Umständen entsprechend - recht gut, wurde ziemlich einhellig konstatiert.
„Online first, für andere Medien seit 10 Jahren selbstverständlich, dürfen wir gar nicht“, wetterte Wolf, „weil es uns verboten ist, etwas zu senden das nicht linear ausgestrahlt worden ist. Vor wenigen Jahren haben wir noch darüber debattiert, ob wir uns aus Social Media zurückziehen sollen - ein völlig absurder Gedanke im 21. Jahrhundert. Wir haben auf Facebook und Instagram jeweils 700.000 bis 800.000 Abonnenten, wir beginnen gerade mit einem TikTok-Channel. orf.at ist seit 25 Jahren das stärkste journalistische Netzangebot in Österreich - gelingt außer der BBC keinem Öffentlich-Rechtlichem auf der ganzen Welt. Vom Mindset her sind wir nicht so schlecht aufgestellt. Aber wir brauchen gesetzliche Bedingungen und es ist völlig absurd, dass wir mehr darüber diskutieren, wen die Türkisen als GI-Kandidaten akzeptieren, als wann das ORF-Gesetz endlich geändert wird.“

 



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