Sichtlich war Bundeskanzler Karl Nehammer um eine gleichermaßen sympathischere wie auch staatstragendere Ausstrahlung bemüht als er sie bisher im politischen Alltag herüberbrachte. Möglicherweise aus der Erkenntnis heraus, dass ihm der für gewöhnlich zur Schau gestellte Fünf-Tage-Bart aus bestimmten Gründen - ist´s das kräftige Gebiss? das kantige Kinn? Fragen über Fragen - etwas leicht bis ziemlich Martialisches verleiht, kam er diesmal vollkommen glattrasiert. Dass er auch etwas blass wirkte, mochte weniger daran liegen als an der vielen Kreide, die er vor dem Gastspiel bei Susanne Schnabl im berüchtigten, angeblich gar nicht so kleinen „Sprechzimmer 23", dem der Dreier künstlich angehängt und mit dem gestrigen Ende der „Sommergespräche" gleich wieder entfernt worden war, gegessen haben musste: Nehammer gab sich freundlich, ganz im Unterscheid zu seinem rein von persönlichem Narzissmus geleiteten Vorvorgänger Sebastian Kurz auch geschichtsbewusst, lächelte viel öfter als gewohnt - freilich merkte man ein wenig das Gewollte, trotzdem - und verlor so gut wie nie die Beherrschung. Nur einmal wurde er sichtbar unwillig, das war, als Schnabl die vielen Korruptionsvorwürfe gegen ehemalige und noch aktive hohe Amtsträger innerhalb der ÖVP ansprach - allen voran Sebastian Kurz, aktuell Protagonist zweier Filme, von denen einer, der als Apotheose angelegt ist, unter sehr dubiosen Umständen zustande gekommen sein soll. Der selbige ist auch Angeklagter in einem Verfahren, das im Oktober starten soll. „So, wie Sie das formulieren, ist es Vorverurteilung", rügte er die ansonsten eh sehr zurückhaltende Interviewerin Schnabl an dieser Stelle.
Dass Nehammer kein Freund von weitreichenden Klimaschutzmaßnahmen ist - besonders wenn sie der Wirtschaft nicht schmecken -, war ohnedies klar. Diesmal mäßigte er sich immerhin in der Wortwahl ein wenig und sprach nicht von „Untergangsapokalypse", für die es „keinen wissenschaftlichen Beweis" gäbe. Stattdessen hob er hervor, was in dieser Regierung - auf Betreiben des grünen Koalitionspartners und teilweise gegen den Widerstand der ÖVP, wie er lieber nicht dazusagte - schon alles für den Klimaschutz gemacht worden sei.
Freilich gibt es Zweifel an der Effektivität dieser nun schon lange strapazierten türkisen Taktik, was nicht alles schon geschafft und erreicht worden sei: Wie Politologe Peter Filzmaier anschließend in der ZiB 2 konstatierte, schwingt in dieser Erzählung Wir-haben-mehr-geschafft-als-es-den-Menschen-bewusst-ist immanent das Eingeständnis mit, dass auch vieles im Argen ist. Nebenbei untermauerten Nehammers Aussagen zur Klima-Thematik auch den schon lange schwelenden Eindruck, dass er (so wie Kurz) auch kein großer Freund der EU ist. So oder so - ein Klimaschutzgesetz wird seitens dieser Regierung nicht kommen - danke ÖVP, danke Wirtschaft.
Bleiben zwei Bereiche, wo Nehammer Verbindlichkeit zeigte: Wenn sich auch beim angekündigten Ausbau der Kinderbetreuung - einen solchen hatte bereits die von Kurz und seinen Spießgesellen gestürzte Kern-Mitterlehner-Koalition fertig geplant gehabt - fragt, warum er erst jetzt kommt, kann man vielleicht ein „Besser jetzt als nie" gelten lassen, wie es Holger Bonin, Direktor des Instituts für Höhere Studien, anschließend bei Lou Lorenz-Dittlbacher in den „Sommer(nach)gesprächen auf ORF III tat.
Und schließlich die scharfe Kritik an FPÖ-Parteichef Herbert Kickl: Aus dem Widerspruch zwischen der Absage der Zusammenarbeit mit einem FPÖ-Führer Kickl auf Bundesebene und der Tatsache, dass unter seiner, Nehammers Kanzlerschaft zwei frische Regierungsbündnisse mit den Blauen auf Länderebene eingegangen wurden - im größten Bundesland Österreichs obendrein mit einem Politiker, der Kickl an Rechtsradikalität womöglich noch übertrifft - kommt er nicht heraus. Mag er sich noch so oft auf Alibi-Formeln wie Bund-ist-Bund-Länder-sind-Ländersache oder Die-FPÖ-ist-nicht-gleich-Herbert-Kickl herausreden.
Aber selbst solche Schwammigkeiten verwischten nicht völlig den Eindruck einer für Karl Nehammers Verhältnisse recht ordentlichen Performance. Manche sahen ihn sogar so gut wie noch nie. Das Problem ist: So besonders viel macht das auch nicht aus.
Wie es fast zu erwarten gewesen war, reichten die Quoten des Kanzler-Sommergesprächs nicht ganz an die Bestwerte bei Andreas Babler und Herbert Kickl und Herbert Kickl heran. Die 688.000, die zusahen und einen Marktanteil von 27 Prozent ergaben, können immerhin als akzeptabel gelten. Gut schnitt danach die ZiB2 mit 746.000 Sehern und 38% Marktanteil ab.