Eine kleine Sonntagsgeschichte dadaworks/Pixabay
10 Sep
geschrieben von 

Eine kleine Sonntagsgeschichte

Über zwei exquisite Sonntags-Newsletter, die sich heute in einem Punkt berühren: BK Karl Nehammers Ankündigung einer ordentlichen Kinderbetreuung.

In einem Seebad, „dieser Stadt am Meer, die man zu bombardieren vergessen hat, ist Sonntag Alltag" - nein: Es heißt NICHT „Jeder Tag ist wie Sonntag". Es kommt allerdings ziemlich aufs Gleiche hinaus: In „Everyday Is Like Sunday" (und eben nicht Every Day Is..."!!!), Morrisseys unsterblichem Hohelied auf die Schlechte Laune, ist Sonntag die Vorhölle. Leben auf Leerlauf geschaltet.
An diesem speziellen Sonntag, den 10. September, kommt depressionsverschärfend hinzu, dass kein Nachrichtensender ohne Bericht auf die als Film getarnte Jubelarie von Regisseur Sascha Köllnreitner auf Sebastian Kurz auszukommen scheint und Kurz und seine Spießgesell*innen Elisabeth Köstinger und Gernot Blümel (und weitere Gestalten ähnlichen Formats) buchstäblich auf allen Kanälen laufen.
Sonntag ist allenfalls der Tag, um endlich die im Laufe der Zeit aufgenommenen Filme anzusehen - sofern Sie das mit den Temperaturen und äußeren Lichtverhältnissen stimmig in Einklang bringen können - oder ein Sachbuch über die psychohygienische Bedeutung des Hobby-Töpferns in Angriff zu nehmen.

Ein Gutes bringt der Sonntag indes doch mit sich: Zwei der besten Newsletter des Landes. Christian Nussers geistreich argumentierter und exzellent geschriebener Blog „Kopfnüsse" ist an dieser Stelle ja schon oft gewürdigt worden  - nicht allerdings die sonntägliche Kleine Zeitung-Morgenpost von Elisabeth Zankel. Die Digital-Chefin der größten Bundesländerzeitung Österreichs, deren Innenpolitik-Redaktion notabene eine bemerkenswerte Blutauffrischung durch vier Redakteur*innen der dahingemeuchelten Wiener Zeitung (angefangen mit Ressort-Chef Walter Hämmerle) erhalten hat, verbindet in ihren Sonntags-Essays private Einblicke in das an Stress und Kuriositäten reiche Leben als karrieristisch avancierte Mutter zweier kleiner Kinder mit bisweilen fast parabelhaften Querverweisen auf das oft nicht weniger kuriose politische Geschehen.
Heute treffen sie sich beide, Zankel wie Nusser, beim selben Thema: BK Karl Nehmammers Ankündigung, 50.000 neue Kinderbetreuungsplätze schaffen zu wollen, in den „Sommergesprächen" (die er, wie Nusser en passant enthüllt, einmal wegen starken Schwitzens im nicht klimatisierten „Sprechzimmer 23" im Parlament unterbrechen lassen musste). Beide sind als Elternteil bei diesem Thema Betroffene und also Wissende. Der große Unterschied: Nussers drei Söhne sind bereits, wie er schreibt, „dem heimischen Bildungswesen entwachsen." Und er kündigt/droht an: „Irgendwann schreibe ich ein paar Gedanken zur Schule auf, momentan bin ich noch zu traumatisiert dafür. Ich stand diesem Monolithen 21 Jahre lang beinahe hilflos gegenüber, es war selbst Stück Stein, das mir schon in meiner eigenen Schulzeit im Weg stand, meinen Eltern ebenso und deren Eltern wohl auch. Das heimische Bildungswesen hat den Veränderungswillen einer Straßenlaterne."
Zankel ist gewissermaßen noch mittendrin statt nur dabei: Für eine Tochter geht's zurück in die Schule. „Hinter uns liegen neun schöne, aber ziemlich chaotische Wochen, in denen sich der Wert eines durchgängigen Kinderbetreuungsangebots wieder neu erschlossen hat. Denn die Berufstätigkeit mit dem Kümmern um den eigenen Nachwuchs zu vereinbaren ist bisweilen ein Hochseilakt, der nur gelingen kann, wenn die Sicherheitsnetze des Staates straff und flächendeckend gespannt sind", rekapituliert sie.
Dass Nehammer mit seinem Vorstoß zur Kinderbetreuung an ein massives, in Österreich jahrzehntelang vernachlässigtes Problem anrührt, darin sind sich Zankel wie Nusser einig. Freilich lassen sie beide auch Skepsis bezüglich seiner (des Vorstosses) Erfolgschancen spüren. „Der Kanzler begab sich mit seiner Ankündigung auf das richtige Gleis, er ist aber nicht der Lokführer", formuliert es Nusser.
Dies einfach schon deshalb, weil Kindergärten (als tragende Säule des Komplexes Kinderbetreuung) unter der Hoheit von Ländern und Gemeinden stehen. „Der Bund hat bei den Kindergärten und -krippen nur wenig mitzureden, er ist über das Bildungsministerium bloß für die Schulung der Elementarpädagoginnen zuständig", führt Zankel aus. „Deshalb kamen auch die Pläne früherer Regierungen, einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz zu schaffen, über Ankündigungen nicht hinaus. Das Vorgehen muss stets mühsam im Dreigestirn ausverhandelt werden: Die finanzielle Hauptlast des Personalbudgets haben die Länder zu schultern, das Raumangebot ist von den Gemeinden zur Verfügung zu stellen."
Zersiedelte Gebiete und eine womöglich nicht sehr progressive Gesellschaftsstruktur in ländlichen Räumen haben den politischen Willen zu Kinderbetreuung vielfach in überschaubaren Grenzen gehalten. Nicht nur Elisabeth Zankel ist gespannt, ob die ÖVP diesmal über ihren Schatten springen kann und Maßnahmen zustimmt, dieser letztlich auch wirtschaftsfeindichen Situation Abhilfe zu schaffen.