Wie macht das der Zillner? Irina Gavrich, Christian Zillner
12 Nov
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Wie macht das der Zillner?

Letzten Donnerstag huldigte Falter-Herausgeber Armin Thurnher in seiner Seuchenkolumne seinem Vorarlberger Landsmann und ehemaligem Stellvertreter als Chefredakteur, Christian Zillner. Dieser verantwortet mittlerweile zig Kunden-, Mitarbeiter- und Special Interest-Magazine als Chefredakteur bei Falter Media Corporate und einen hochkarätigen Output als Maler und Autor - ohne sich auch nur einen Deut um die Eitelkeiten des Kulturbetriebs zu scheren. Der Versuch, ein Phänomen zu ergründen.

 

Es ist im Prinzip ein furchtbar triviales Statement, Armin Thurnhers Seuchenkolumne, allmorgentlich außer sonntags in der Frühe versandt, als einen der nicht inflationär vielen Höhepunkte kontemporärer österreichischer Publizistik zu definieren. Wir stellen nun noch dienstbeflissen (und ebenso trivial) fest, dass nicht jede einzelne dieser Kolumnen ins Schwarze trifft, weil wir ja alle Menschen sind und fehlbar undsoweiterblablaba. Kommen wir einfach zum Wesentlichen. Letzten Donnerstag befasste sich Thurnher mit dem „grandiosen" Kundenservice der ÖBB, seiner 104jährigen Mutter - und Christian Zillner, seinen Vorarlberger Landsmann, der ihn einstens als Chefredakteur des Falter stellvertreten hat und heute die Magazin-Produkte des Falter-Verlags redaktionell leitet.

Deren gibt es viel mehr als gemeinhin bekannt ist. Man kennt vielleicht das Card Complete Magazin - früher als Visa Magazin geläufig; das Lifestyle-Kompendium Best Of Vienna, regionale Magazine und Heftbeilagen über Wiener Grätzl, die Bucklige Welt, das Mostviertel oder den anzeiger, das Monatsmagazin für den Buchhandel. Darüberhinaus produziert Falter Media Corporate, wie sich das Unternehmen offiziell nennt, Falter-Beilagen zu Themen wie Bildung, Wohnen oder Bauen. Wissenschaft ist ein weiterer Schwerpunkt im Verlags-Portfolio, der sich in den Magazinen Heureka und dem jährlichen ÖFG-Magazin der Österreichischen Forschungsgemeinschaft wiederfindet. Eine insbesondere wirtschaftlich nicht unwesentliche Säule des Programms ist Corporate Publishing: Magazine oder Broschüren, die sich an Firmenkunden oder -mitarbeiter wenden. Ich arbeite - Offenlegung - als Schreiber im Falter Verlag mit, insbesondere in den Themen-Heften, dem ÖFG-Magazin und Heureka und bin insofern mit Christian Zillner in regelmäßigem Austausch. Warum dieser mittlerweile reine Berufsroutine übersteigt - genau darum geht es im Folgenden.

Wir waren bei Armin Thurnher. Er wollte bei einem Heimaturlaub in Gsiberg u.a. im Bregenzer Kosmos-Theater der Präsentation von Christian Zillners neuem Lyrik-Band „Brot und Speer", erschienen im Limbus Verlag, beiwohnen. Zillner ist nämlich außer Magazinmacher (bzw. per Eigendefinition Magazineur) auch, wie ihn Thurnher beschreibt, „Philosoph, Maler und als Lyriker Autor eines unterschätzten achtbändigen österreichischen Nationalepos namens Spiegelfeld."
Aus dem Besuch der Präsentation wurde für Thurnher aus persönlichen Gründen nichts. Dafür aber gibt er der p.t Leserschaft von Zillners lyrischem Schaffen schöne Eindrücke, die sehr deutlich nicht solidarischer Höflichkeit, sondern genuinem Mit(er)leben entspringen: „Zillners Material kommt aus Anschauung und Erinnerung, aus dem Walsertal wie aus der Prärie, aus dem Prado wie von den Schiffen der Achäer. Ob Salz des Meeres oder Kiesel der Ache, rostende Geschütze oder indische Badestrände, Zillner verdichtet sie zu funkelnden Miniaturen. Über allem das Motto:
,Menschen der Vergangenheit
versprechen unsere Zukunft.'
Nicht nur Promise, sondern auch Misspell. Und immer wieder fein formulierte, sich niemals an ihrem eigenen Glanz berauschende Naturbeobachtungen."

„Sich niemals am eigenen Glanz berauschend" - das scheint mir generell eine treffende Kurzcharakteristik des gebürtigen Dornbirners und Wahlwieners Christian Zillner, der im Klappentext seines Lyrikbands „Rutum erat" schreibt: „Heimat ist, wo man die ersten Watschen bekommen hat. Die Erinnerung daran heißt Heimweh".
Ich kenne keinen Menschen sonst mit einem derartig massiven Output an hochkarätiger ... was schreib ich jetzt? „Kulturproduktion"? ... nein, einfach: mit einem derartig schillernden und formidablen Werkskörper, der so gleichgültig alle vermeintlich relevanten Insignien von Erfolg, Meisterschaft und Status links liegen lässt: Verkäufe, offizielle Auszeichnungen, große Auftritte, pompöse Ausstellungen.
IMG 0132 2Es liegt nichts Treuherziges in solcher Bescheidenheit - viel besser gesagt: Bescheidung -; eher, so will mir scheinen, ein gewisser Spott auf alles, was diesen Jahrmarkt der Eitelkeiten, der sich Kulturbetrieb nennt, ausmacht. Als ich Zillner einmal, geplättet von einem Text über das Erleben eines Baums, der am Ende gefällt wird, vorschlug, diesen doch für einen Preis einzureichen, antwortete er, das Lob sei ihm Preis genug, „alle anderen riechen mir nach Noten und davon hatte ich in der Schule genug."
Zur Publikation seines neuen Bandes im Limbus Verlag „Brot und Speer" haben ihn „liebe Freunde" wie Stephen Eibel und Erwin Uhrmann (die auch dort publizieren) erst überreden müssen.
Oder nehmen wir den Lyrikband „Aus dem Alltag", den er 2017 mit seiner Lebensgefährtin Nora Fuchs veröffentlicht und den er mir, ganz beiläufig, nach einer Lesung geschenkt hat: Mehr Understatement geht nicht. Auf der Vorderseite des Einbands der linke Flügel von Zillners Werk „Donaudelta-Altar" - in dem Sie die TV-Doku-Bilder des nämlichen Donaudeltas mit Garantie NICHT wiederkennen -, auf der Rückseite Computerselbstporträts von Nora Fuchs. Von den Autoren erfahren wir noch die Geburtsorte (jener von Fuchs ist das slowakische Trencianske Teplice) - sonst genau nichts. Es wird auch nicht aufgedröselt, ob die Texte gemeinsam oder getrennt geschrieben wurden, geschweige denn wer was geschrieben hat. Neben den Copyrightangaben zur Covergestaltung enthält das Buch noch Hinweise auf die Nutzungsrechte, die Druckerei und den Lektor. Von einem Verlag erfährt man nichts (außer man geht über die ISDN-Nummer und wird solchermaßen beim Dornröschen Verlag fündig, der schon die Spiegelfeld-Oktologie editiert hat). Dabei ist das Buch sehr schön produziert und ich greife nach Jahren noch immer gern darauf zurück - auch weil sich die Texte, die vertraut mit Zillners sonstiger Schreibe harmonieren, sowieso einer schnellen Fassbarkeit entziehen und noch nach mehrmaligem Wiederlesen neue Facetten offenbaren.

Ich bekomme wie andere „undisclosed recipients" regelmäßig - besser gesagt unregelmäßig, aber beizeiten mit enormer Frequenzdichte - Zusendungen von Christian Zillner, die nichts mit unserem beruflichen Verhältnis zu tun haben. Vielmehr transportieren diese Mails Bilder und Texte aus CZ-eigener Produktion. Die verschickt er einfach so - ohne Geld, Publicity oder was auch immer zu erwarten. Das Einzige, worum er neuerdings bittet, sind Titelvorschläge für Bilder.

Ich kapiere absolut nicht, wie er das alles überhaupt schafft: Die vielen großformatigen Acrylbilder, sechs Bücher, wenn man sein achtteiliges opus magnum Spiegelfeld denn als Einheit zählt; die Arbeit für zig Magazine, die auch kein Dreck nicht ist. Allein das Volumen von CZs schreiberischer und journalistischer Arbeit kombiniert würde mich überfordern - von der Malerei rede ich, in dieser Disziplin (im Unterschied zu meiner Frau Tamara Starl-Latour) nicht begabt und daher mit seliger Ignoranz um ihre An- und Herausforderungen gesegnet, noch gar nicht.

Eigene Ordner habe ich auf meinem Computer für Zillners Texte und Bilder angelegt - was eine gute Maßnahme war, weil sich so nicht nur ein besserer Überblick ergibt, sondern vor allem auch gewisse Charakteristika sich so deutlicher herausschälen.

„Jedenfalls male ich für Gott"

Von den zwei Hauptsträngen seines Schaffens ist Zillners bildernisches Werk, seit ungefähr Mitte der 90er Jahre aktenkundig, öffentlich vermutlich besser bekannt als sein schreiberisches. Laienhaft beschrieben, wirkt Zillners Malerei ungemein (ausdrucks)kräftig, variantenreich, rätselhaft. Die Farbgebung ist immer intensiv: überwältigend stark oft - bisweilen aber auch betont blass und verschwommen. Den Schwerpunkt in Zillners Schaffen scheinen Natur und Landschaften einzunehmen - freilich verfremdet; gewohnter Perspektiven, Proportionen und Anmutungen entledigt, stattdessen ins Phantastische, weniger ins Sur- als eher Hyperreale gewandelt. Zum Glück für Kunstbeschreibungsdilettanten wie unsereins definiert Christian Zillner in seinem Essay „Divertimento. Werk zum Frohlocken Gottes", der als „Erklärung zur Perspektive" eine - naturgemäß hyperreale - Landschaftskarte Australiens aus der Serie „Kontinente" begleitet, die Essenz seiner Arbeit selbst:
Existenzsätze sind sinnlos, sagt der Philosoph Ludwig Wittgenstein. Aber ist dies einer? Alle Kunst, die menschlichen Ideen dient oder dem menschlichen Blick gilt, ist entweder Propaganda, Apokalypse oder Dekor.
Gott in seiner Höhe, der unter dem All leidet – immer dasselbe Siebengestirn – braucht Kurzweil, ein Divertimento, auf das er herabschauen kann, und Kunst hat diesen Gottesdienst zu leisten.
Der Künstler Christian Bretter ergänzt: Damit er nicht auf dumme Ideen kommt.
Dazu passt die Erklärung des Schriftstellers Walter Grond von Gott als dem Unbewussten, das dem menschlichen Blick und Zugriff entzogen bleibt.
Physikalisch ist er wohl die Dunkle Energie, die das All zu über siebzig Prozent erfüllt, und die nur aus ihrem Wirken erschlossen werden kann – eine negative Offenbarung.
Jedenfalls male ich für Gott."

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Über Zillners Schreibe kann ich etwas mehr mit etwas mehr Berechtigung sagen. Oder eben auch nicht, weil vieles darin noch (m)einer Ergründung harrt. Thematisch scheint er zu jenen eigentümlichen Universal-Genies zu gehören - mir fällt da komischerweise als Beispiel Diedrich Diederichsen ein - die überall zu Hause zu sein scheinen, in und mit allem beschlagen, vom trivialsten Alltagsphänomen bis zur ausgeklügeltsten Theorie, von der Fußball-Regionalliga bis zu Odysseus, der als „Kampfplatz feindlicher Gewalten und unheimlicher Mächte" sein Dissertationsthema in Philosophie in Wien (nach einem abgebrochenen Theologiestudium in Salzburg) war.
Wie wildes Wasser - Wildheit, Wildnis, das sind übrigens Worte und Zustände, die in Zillners Texten gern vorkommen - ergießt sich dieser Fundus über sein Werk, verquirlt sich hier, staut sich da, bricht dort durch und verleiht den Texten etwas Abruptes, Unmittelbares; eine Anmutung, als sei dem Autor gerade dies oder jenes eingefallen. Die Themen des Schreibers Zillner sind die (auch in der Malerei prominent gewichtete) Natur - wobei er so weit geht, sich in eine Pflanze oder (falls richtig verstanden) in einen Wassertropfen einzufühlen - die griechische Mythologie, religiöse und theologische Fragen, gesellschaftliche Befindlichkeiten und Verhaltensweisen, die literarische Produktion und vieles andere mehr, also praktisch eh alles, was existiert - und recht häufig ist dieses Alles in einen einzigen Text gestopft. Dabei basieren manche Texte auf früheren Entwürfen und lassen solchermaßen Rückschlüsse auf ihre Genese zu. So ist eine vielzitierte Stelle aus „Brot und Speer" schon einmal in einer Art Traktat mit dem Titel „Immerfort" vorgekommen, die Zillner in der verdächtig formatiert aussehenden, üppigen Textsammlung „Zukunft Musik nach der Natur des Christian Zillner" im Sommer dieses Jahres ausgeschickt hatte. „Zorn, du großer Bruder der Wut, mit dir beginnt Europas Geschichte im Zelt des zornigen Helden Achilles", heißt es im Traktat; „Im Zorn, dem Bruder der Wut, / beginnt Europa zu wachsen / vor dem Zelt des Achilles" im jetzt publizierten Gedichtband. Und die Geschichte, die später als „Himmelwärts" firmiert, war in einem früheren Stadium jene Erzählung „Baum", die mich CZ empfehlen ließ, sie doch für einen Preis einzureichen.
Schließlich und wirklich zuguterletzt ist Christian Zillner, was einen echten Autor ausmacht: nämlich Sprachspieler, ein Meister des Stils und der Metaphorik.
So beschreibt er eine illustre Abendgesellschaft „mit Menschen aus Besitz und Bildung bestückt, dazu etwas Politik und Zeitungswesen, um für einige Schärfe im Gespräch zu sorgen. Ich gab ein Exempel der Kunst, also eine Art Tafelaufsatz, von dem die Gesellschaft annahm, er habe wie weiland die ausgestopften Pfauen oder Schwäne am Tisch in dieser Funktion den Schnabel zu halten." Das gilt freilich nicht für einen aufstrebenden, populistischen Jung-Politiker, dessen Ähnlichkeiten mit einem ehemaligen Bundeskanzler dieser Republik schwer von der Hand zu weisen scheinen: „Er nahm dem Herausgeber das Wort aus dem Mund, drehte es um, und errichtete auf dem hilflos zappelnden sein politisches Gehäuse, eine zugige Bude, durch die Winde aus allen Richtungen, vor allem den rechten, je nach Opportunität hindurch pfiffen."