Nicht nur der Gesellschaft, sondern auch unserem Haushalt hat die WZ hervorragende Dienste erwiesen Nicht nur der Gesellschaft, sondern auch unserem Haushalt hat die WZ hervorragende Dienste erwiesen privat
05 Okt
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Der Heimathafen

Aus aktuellem Anlass, wie die blöde Phrase heißt, bringen wir diese Geschichte, erstellt vor etwa eineinhalb Jahren, noch einmal. Denkt es euch wie bei „Bohemian Rhapsody". Auch da war ja der Anlass der Zweitveröffentlichung ein Todesfall. Es ist im Übrigen SCHEISSEGAL, dass die Mehrzahl der politischen Vollkoffer von damals (Frau Blimlinger ausgenommen) nicht mehr in ihren Funktionen sitzt. Die von ihnen vertretene Geisteshaltung, diese unglaublich primitive Unkultur, Dummheit und Boulevardhörigkeit, wird „würdig" weitergepflegt.

 

Ein streng subjektiver Rückblick auf die Wiener Zeitung: Die ersten 34 Jahre. (Oder: Was bisher geschah).

 

An einem ziemlich unfreundlichen Tag im November 2003 besuchten Gerald Schmickl, Chefredakteur der extra-Beilage, und ich im Namen der Wiener Zeitung gemeinsam ein Konzert der britischen Rockgruppe Blur im Gasometer. Vom Security-Mann befragt, was er in der Tasche habe, zog Schmickl ein Buch hervor. „Was ist das? Willst es drinnen lesen?“, fragte der Security-Mann feixend. Schmickl machte eine vage Geste, die heißen mochte, „mal schauen“: Wie jeder routinierte Konzertgeher weiß, kann viel Zeit zwischen Einlass und faktischem Konzertbeginn vergehen, Smartphones gab´s damals noch keine und es konnte sich, zumal in der wenig anregenden Atmosphäre des Gasometer, schon empfehlen, was Lesbares mitzuhaben.
Das selbe hatte ich mir übrigens auch gedacht. „Ich hab auch ein Buch mit“, sagte ich, als ich zum Perlustrieren dran war. Nachsatz: „Ich bin auch von der selben Zeitung.“ Der Security-Mann starrte uns entgeistert an, als habe er eben Gespenster gesehen, dann brach er in ein annähernd minutenlanges Wiehern aus. Komische Vögel, komische Zeitung, mochte er, freundlich interpretiert, gedacht haben.

Ich schreibe in der Wiener Zeitung seit Mai 1987. Ich hatte einen langen Text über Neil Young, der damals, glaube ich, erstmals nach Österreich kam, hingeschickt; ohne große Erwartungen, aber wenigstens versucht haben wollte ich´s. Ich hatte das Ganze schon vergessen, als ich ein paar Tage später sorgfältig gebunden zwei Exemplare der WZ im Postkasten vorfand.
Ich schickte weitere Geschichten, fast alles landete und so fügte sich eins aufs andere. Allmählich entstand auch persönlicher Kontakt, insbesondere mit Gerald Schmickl, und irgendwann ab Mitte 1989 begann ich, die Wiener Zeitung als eine Art Heimathafen zu empfinden.
Ich habe diesem Heimathafen nie wirklich den Rücken gekehrt, obwohl ich formal dort nie „mehr“ als freier Mitarbeiter gewesen bin. Ich habe ihn, wenn ich redaktionell an andere Unternehmen gebunden war, zeitweise seltener angesteuert, aber ich habe immer Möglichkeiten gefunden, teils unter abenteuerlich dämlichen Pseudonymen, weiter für die WZ zu schreiben. Gegen Ende der 90er zu tat ich das buchstäblich ohne Rücksicht auf Verluste zunehmend häufig wieder unter eigener Flagge.
Von den frühesten Jahren dieses Milleniums an bin ich wieder regelmäßig an Bord. Mein Fokus ist das extra-Magazin, das vom Schriftsteller und Drehbuchautor Thomas Pluch ins Leben gerufen worden ist, nach dessen tragischem öffentlichem Tod bei einer Romy-Gala in die Verantwortung von Gerald Schmickl und Hermann Schlösser überging und heute von Schmickl als Leiter gemeinsam mit Andreas Rauschal und Andreas Tesarik geschupft wird. Das extra ist thematisch vielfältig, immer gut durchdacht und geplant, und ich durfte schon viele Themen darin behandeln - von seltsamen Tieren über literarisches (Un)Wetter bis zur Geschichte des Bohemian Bourgeois.
Über den (Ver)Lauf von fünf Chefredakteuren und vier redaktionellen Ortswechseln hinweg habe ich auch ziemlich allen anderen Blattteilen, Bereichen und Ressorts außer der Politik meinen Besuch abgestattet. Sogar Große Oper war darunter („Zwischenfälle“ nach Daniil Charms beim Donaufestival 2004 in der Alten Werft in Korneuburg). Schmickl gratulierte zum Debüt als Opernkritiker und meinte: „Dort werden wir alle landen“ - bislang eine Fehleinschätzung (auf den ehemaligen Pop-Kritiker Bogdan Roščić hingegen hat es zugetroffen).
Der letzte weite Haken führte mich zu Petra Tempfer in den Gerichtsteil und drehte sich um Glücksspiel. Die Arbeit in der WZ hat es mir eines der markantesten, gleichwohl oft mißachteten Benefits des Journalismus vor Augen geführt: Das Mandat, mit unterschiedlichsten Menschen aus unterschiedlichsten Bereichen reden zu können.

Es ist also keine objektive Stimme, die Ihnen erzählt, wie einzigartig diese Zeitung ist. So fucking what?!. Was haben schon die „Experten“, die sich derzeit zum Thema „Rettet die Wiener Zeitung!“ zu Wort melden, groß zu sagen? Sie werden irgendwas von der bedrohten Medienvielfalt in diesem Lande faseln. Dass die Republik die in ihrem Eigentum stehende Zeitung zu schützen und unterstützen habe.
Dass die Wiener Zeitung eine seriöse, unaufgeregte Stimme in der Kakophonie von Social Media-Geschrei und Verschwörungsgeschwurbel sei.
Bildschirmfoto 2021 05 10 um 13.28.42Natürlich ist nichts davon falsch. Sehr wohl allerdings ist es das Vorurteil, die Wiener Zeitung sei (mehr oder weniger) „verstaubt“. Dieses Klischee ist dermaßen schwachsinnig und dumm, dass hier kein Platz verschwendet werden soll, um darauf überhaupt einzugehen. Es funktioniert höchstens als Demarkationslinie - insofern es den, der es in den Mund nimmt, demaskiert als jemanden, der die Zeitung in den letzten zehn und mehr Jahren mit Garantie nie gelesen hat. Wenn sich solche Kreaturen haufenweise in die öffentliche Debatte um die WZ einschalten, zeigt sich, wieviel inkompetente Gschaftlhuberei den öffentlichen Diskurs umtreibt. Das wiederum ist als Erkenntnis das Gegenteil von neu - also Schwamm drüber und, in den Worten Sven Regeners, „ein Tritt dem Trottel, der das erfunden hat“.
Inhaltlich und schreiberisch ist die Wiener Zeitung dem Standard, der Presse und den Salzburger Nachrichten seit jeher ebenbürtig gewesen. Und seit sie - auch forciert durch die digitale Transformation, die sie gut geschafft hat - die Graphik und den optischen Auftritt ordentlich auf Vordermann gebracht hat, kann sie sich auch buchstäblich sehen lassen. Die Zeitung ist klar und übersichtlich gegliedert, und hat, neben dem extra als Österreichs bestem Wochenend-Magazin, ein fast im Wortsinn alle Stückerln spielendes Feuilleton mit - gerade jetzt extrem wichtig - integriertem Wissenschaftsteil (dessen Leiterin Eva Stanzl ist Vorsitzende des Klubs der WissenschaftsjournalistInnen, der z.B. die WissenschafterIn des Jahres bestimmt). Ziemlich einzigartig ist auch der Wien-Teil mit Geschichten über soziale Brennpunkte, etwas entspanntere Begegnungszonen (etwa Parks) und Paul Vécseis historischen „Wiener G´schichten“. Dazu wird Meinungen und Satire in Form von Kommentaren und Glossen breiter Raum gewährt.
Überdies eignet der WZ eine nachgerade unheimliche Witterung: Knapp zwei Wochen bevor Brigitte Bierlein Bundeskanzlerin der Republik Österreich (und damit Eigentümervertreter der Wiener Zeitung) wurde, stand sie als Präsidentin des Verfassungsgerichtshofs Chefredakteur Walter Hämmerle Rede und Antwort. Und kurz bevor Martin Kocher zum Arbeitsminister berufen wurde, war er als IHS-Chef von der WZ noch intensiv ins Gebet genommen worden.
So viel Kompetenz lässt sich nicht ewig verstecken und hat die Konsequenz gezeitigt, dass die Wiener Zeitung, die früher kaum je öffentliche Erwähnung fand, heute ein Faktor in öffentlichen Debatten ist.

Von sich aus also hat die Zeitung alles getan, um sich zukunftsfit aufzustellen. Doch kommen seit Jahren Querschläger aus der Politik. Der gegenwärtige seitens Türkis-Grün ist vielleicht der letzte, aber es ist nicht so, dass er nicht Vorgänger gehabt hätte. Schon der durchaus respektierte rote Kulturminister Josef Ostermayer hat vor ein paar Jahren laut über die Einstellung des Amtsblattes nachgedacht; bei Türkis-Blau war das im Regierungsprogramm vorgesehen.

Es ist in Wahrheit völlig müßig, von der Politik ernsthafte Initiativen zur Rettung der Wiener Zeitung zu erwarten. Gäbe es einen politischen Willen für ihr Weiterleben, ginge das einfach und handstreichartig, indem man einen Bruchteil der öffentlichen Inserate, die z.B. an Wolfgang Fellners Zeitung Österreich gehen, zur WZ umschichtet.
Kanzler Sebastian Kurz will eben nicht. Unmutsbezeugungen aus Kultur und Medien wird Kurz so stiernackig aussitzen wie zu Jahresanfang die Proteste gegen die Abschiebung vollintegrierter georgischer Kinder. Seinen Spendern und seiner Kernklientel - Industrielle, Konzernchefs, Reiche allgemein - sind solche Dinge Wurscht, dem Durchschnittsbürger wohl auch, daher hat er in dieser Causa keine Verluste - weder an Geld noch an Stimmen - zu befürchten.
Die gleiche kaltherzige Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal der Wiener Zeitung und ihrer Mitarbeiter lassen aber durchaus auch Kurz´ grüne Erfüllungsgehilfen in der Regierung spüren. Die apodiktische Ansage der grünen Mediensprecherin Eva Blimlinger, die WZ könne unter keinen Umständen mehr als Print-Tageszeitung weitergeführt werden, lässt nicht rasend viel Bereitschaft erkennen, der rund 60köpfigen Belegschaft weiterhin ein Betriebs-Dach über dem Kopf zu gewähren. Übrig bleiben seitens der Politik somit Pläne, die WZ zum offiziellen Verlautbarungsorgan zu reduzieren. Als ob wir deren nicht schon genug inoffizieller in Form hochsubventionierter Boulevardblätter hätten.
Neuerdings hat der Presseclub Concordia einen brauchbaren Vorschlag präsentiert, die Wiener Zeitung einer Treuhandgesellschaft mit öffentlichen Trägern zu überantworten. Es gibt allerdings auch Investoren, die Interesse an der Zeitung zeigen. Dass dies nicht unbedingt als Segen zu verstehen ist, liegt auf der Hand. Ein Wunder ist´s indes nicht wirklich. Denn hinter der Wiener Zeitung steht ja auch ein spektakuläres Werbe-Argument: Älteste Tageszeitung der Welt! Schon aus Marketinggründen, hat die heute bei der Süddeutschen Zeitung arbeitende ehemalige Standard-Chefredakteurin Alexandra Föderl-Schmid in einer Diskussion eingeworfen, müsste die Regierung am Erhalt der Wiener Zeitung brennend interessiert sein.
Dazu bedürfte es freilich eines gewissen Kulturverständnisses, welchen historischen Wert Zeitungen für die Entwicklung der Demokratie hatten und haben - und, machen wir´s Kurz, diese Regierung hat das nicht. Die verhält sich vielmehr wie der Banause, der vom Altwarentandler alte Thonet-Sessel entsorgen lässt, weil sie nicht mit den neugekauften IKEA-Möbeln zusammenpassen: „Nehmen Sie das mit! Ich geb´s Ihnen gratis. Bin froh, wenn ich den Krempel los bin.“ 



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